"Die Menschen in Tunesien waren damals dafür offen und in kurzer Zeit fanden sich mehr als 200 Männer und Frauen, die sich in ihrem Umfeld im Katastrophenschutz ehrenamtlich engagieren wollten", erinnert sich THW-Präsident Gerd Friedsam. Mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes entwickelten THW und ONPC gemeinsam ein Pilotprojekt, das zur Erfolgsgeschichte und zum Vorbild für andere Länder wurde. Nach zehn Jahren Kraftanstrengung sowie intensiver Kooperation blicken Tunesien und Deutschland in diesem Jahr mit Stolz auf über 100 gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen sowie Workshops zurück. Die inzwischen rund 3.200 registrierten Ehrenamtlichen in Tunesien sind eine wichtige Säule des dortigen Katastrophenschutzes geworden. "Sie benutzen wie selbstverständlich Trennschleifer oder Bohrhammer, arbeiten mit Leinen, Spanngurten oder Ketten, liefern Notstrom oder Licht und bedienen Hochleistungspumpen, wenn Einsätze dies erfordern. Mit ihrem ehrenamtlichen Engagement für den tunesischen Bevölkerungsschutz und mit THW-Unterstützung haben wir gemeinsam einen wichtigen Beitrag zur Festigung demokratischer Strukturen geleistet", weiß THW-Präsident Friedsam.
Bereits seit 1970 unterstützt das THW Tunesien immer wieder bei Notlagen und pflegt seitdem enge Beziehungen zur Partnerbehörde ONPC. Gemeinsam entwickelte man im Fahrwasser des sogenannten arabischen Frühlings die Idee, auf regionaler Ebene nach THW-Vorbild, ehrenamtliche Einsatzkräfte auszubilden und Ehrenamtsvereine aufzubauen, um die hauptamtlichen Einsatzkräfte zu unterstützen. Zunächst entwickelten die THW und ONPC im Rahmen von Workshops ein Konzept, welches Material- und Fahrzeuglieferungen, Ausbildungen sowie Beratung beinhaltete. Dabei passte man die standardisierte, modular aufgebaute THW-Grundausbildung für Ehrenamtliche an die tunesischen Verhältnisse an. In den vergangenen zehn Jahren kaufte das THW dann die Grundausstattung für 17 Ehrenamtsvereine in ganz Tunesien. Über 200 ehemalige THW-Fahrzeuge wie Kipper, Mannschaftstransportwagen oder geländegängige Unimogs wurden per Schiff nach Tunesien überführt, wo sie heute landesweit im Einsatz sind. Auch Neufahrzeuge für den tunesischen Katastrophenschutz beschaffte das THW. Ein weiterer, wichtiger Bestandteil des Projekts ist, Einsatzeinheiten zur Bewältigung von Hochwasserschadenslagen aufzubauen. In diesem Rahmen kaufte und überführte das THW insgesamt 20 Hochleistungspumpen nach Tunesien.
Gemeinsamen Ausbildungen
Die Ausbildungen begannen im Februar 2013 mit der ersten "train the trainers"-Maßnahme für ONPC-Ausbilder bzw. -Ausbilderinnen im rheinland-pfälzischen Sinzig. Die Tunesier übten mit Werkzeugen und Geräten aus dem THW-Ortsverband, die ihnen anschließend auch in Tunesien zur Verfügung standen. Vor allem aber lernten die Ausbilder und Ausbilderinnen, worauf es beim Umgang mit Ehrenamtlichen ankommt. "Besonders beeindruckt waren die Gäste von Miteinander auf Augenhöhe, vom Teamgeist und davon, dass sich ihre ehrenamtlich tätigen THW-Ausbilder und Ausbilderinnen aus Sinzig für dieses 14-tägige Training Urlaub genommen hatten. Das alles war Neuland für die Katastrophenschutz-Profis aus Tunesien", so THW-Präsident Friedsam. Bis heute folgten bundesweit weitere 14 Trainings nach diesem Vorbild.
Die tunesischen Ausbilder und Ausbilderinnen schulten dann tunesische Ehrenamtliche in den größtenteils neu gegründeten Ehrenamtsvereinen. Inzwischen erfolgten 17 Grundausbildungen für 662 Helferinnen und Helfer, die heute bei Einsätzen in Tunesien wertvolle Unterstützung leisten. Beispielsweise helfen sie Veranstaltungen abzusichern, führen Sensibilisierungskampagnen durch oder leisten ONPC wichtige Unterstützung bei Überschwemmungen, Waldbränden sowie anderen Notlagen.
500 THW-Einsatzkräfte beteiligt
Jeder Schritt in diesem Pilot-Projekt war auf Augenhöhe zwischen ONPC und THW abgestimmt. Dabei blieben die lokalen Voraussetzungen und Bedürfnisse immer im Mittelpunkt, zum Beispiel bei der Konzipierung neuer Schulungen. Neben den "train the trainers"-Maßnahmen und den Grundausbildungen für Ehrenamtliche vor Ort, entwickelten die Partner weitere Ausbildungsformate. Dieses sind zum einen Trainings zur Wartung und Pflege von Material, zum anderen spezialisierte Ausbildungen wie zum Umgang mit Hochleistungspumpen oder hydraulischen Rettungsgeräten. Auch während der Corona-Pandemie, als Reisen nicht möglich war, riss die Kooperation nicht ab, sondern wurde in Online-Schulungen fortgesetzt. Allen Beteiligten war klar, dass nur auf Basis einer fundierten Ausbildung ein handlungsfähiger, ehrenamtlich unterstützter Katastrophenschutz in Tunesien dauerhaft Bestand haben wird. An der Projektumsetzung beteiligt waren in den vergangenen Jahren mehr als 500 THW-Ehrenamtliche aus ganz Deutschland.
Inzwischen hat diese Erfolgsgeschichte Schule gemacht und das THW etablierte das Konzept zum Aufbau von ehrenamtlichen Strukturen mit seinen Partnern auch in anderen Ländern wie Jordanien oder im Irak.
"Es erfüllt uns alle mit Freude, dass es gemeinsam gelungen ist, unseren Partnern beim Aufbau ehrenamtlicher Strukturen, wie wir sie in Deutschland haben, zu helfen", betont der THW-Präsident. "Die vom Auswärtigen Amt geförderte Projektreihe leistet damit in Tunesien einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft und zur Resilienz bei Katastrophenfällen." Friedsam zieht sein Fazit: "Über Kontinente sowie kulturelle Unterschiede hinweg sind in zehn Jahren Freundschaften entstanden und vom einem 45 Prozent umfassenden Frauenanteil in den tunesischen Ehrenamtsvereinen können wir in Deutschland uns noch etwas abschauen." Das THW nutzt dieses zehnjährige Jubiläum, um im Laufe des Jahres regelmäßig über Meilensteine des tunesisch-deutschen Projekts und über die Fortführung der Kooperation zu berichten.
Das THW ist die ehrenamtlich getragene Einsatzorganisation des Bundes. Das Engagement der bundesweit mehr als 85.000 Freiwilligen bildet die Grundlage für die Arbeit des THW im Bevölkerungsschutz. Mit seinen Fachleuten, seiner Technik und seinen Erfahrungen ist das THW im Auftrag der Bundesregierung weltweit gefragt, wenn Notlagen dies erfordern. Neben bilateralen Hilfen gehören dazu auch technische und logistische Aufgaben im Rahmen des Katastrophenschutzverfahrens der Europäischen Union sowie im Auftrag von VN-Organisationen.